Achtsamkeit - mehr als nur ein Modewort

Das Phänomen der Identifikation

Ein grundlegendes Bedürfnis, ja wahrscheinlich sogar eine grundlegende Eigenschaft unseres Verstandes scheint es zu sein, sich mit etwas zu identifizieren, etwas zu sein.
Dies reicht ganz banal von Stimmungen und Gefühlen, über Gedanken und Ideen bis hin zu Weltbildern.
Manche von diesen Identifikationen sind eher locker und können leicht aufgelöst werden (wie z.B. „Ich bin gerade etwas müde oder entspannt“). Andere Identifikationen können sehr stark bis existenziell sein und nahezu nicht auflösbar (wie z.B. politische oder religiöse Zugehörigkeiten).

Je stärker wir mit etwas identifiziert sind, desto selbstverständlicher werden wir daraus agieren und reagieren und desto weniger freie Wahl an Handlungsmöglichkeiten haben wir.

Angenommen, ein Mensch ist sehr stark mit seiner persönlichkeit identifiziert und jemand beleidigt ihn, dann ist die wahrscheinlichkeit groß, dass er direkt auf die Beleidigung reagiert, z.B. mit Wut und diese ausagiert in Form von Gegenangriff oder vielleicht einagiert in Form von gekränktem in sich Zurückziehen.

Angenommen, dieser Mensch ist in der Lage, mit etwas Abstand zu beobachten, dass auf die Beleidigung von Außen in ihm eine Reaktion entsteht. Wenn er es schafft, bei dieser Beobachtung zu bleiben ohne in ein Ausagieren oder Einagieren zu gehen, dann entsteht Handlungsspielraum für verschiedene bewusst gewählte Reaktionen.

Die Fähigkeit, die hierbei benötigt wird heißt Achtsamkeit: Aus einer wohlwollenden, unparteiischen Beobachterperspektive heraus wahrnehmen, was passiert, ohne identifiziert und verstrickt zu werden.

Dies funktioniert nicht nur bei Impulsen von Außen, sondern auch bei allem, was uns in unserem inneren begegnet.

Angenommen, du wachst morgens in richtig mieser Stimmung auf und musst zur Arbeit gehen. Wenn du stark identifiziert bist mit dieser Stimmung wirst du dich elend fühlen und die Welt genau aus dieser Perspektive sehen. Du wirst leiden, vielleicht selbstmitleidig sein, vielleicht genervt und die schlechte Stimmung ausagieren.
Stell dir vor, du bist jedoch in der Lage, innerlich einen kleinen Schritt zurückzutreten, die Identifikation mit dem Zustand etwas zu lösen und eine interessierte, vielleicht sogar neugierige Beobachterperspektive einzunehmen.
Falls dieser Schritt möglich ist, wird eine Veränderung stattfinden: Du wirst nicht mehr richtig mies drauf sein, sondern bewusst mitbekommen, dass da miese Stimmung in dir ist und dies macht einen gewaltigen Unterschied.

Du wirst der schwierigen Stimmung und deren Handlungsdruck ins Agieren nicht mehr ausgeliefert sein, sondern mitbekommen, was passiert und frei entscheiden können, wie du damit umgehst und dir vielleicht etwas gutes tun kannst. Es entsteht innerer Abstand und dadurch ein Stück weit Freiheit.

Entdecke die Freiheit in dir: Wie du durch Achtsamkeit den Kreislauf der Identifikation durchbrichst

Jeder von uns hat es schon einmal erlebt: Dieses unbestimmte Gefühl, dass wir mehr sind als nur die Summe unserer Teile. Unser Verstand hat ein natürliches Bedürfnis, sich zu identifizieren – sei es mit unseren Stimmungen, Gedanken, Ideologien oder Weltanschauungen. Manche Identifikationen sind flüchtig und schnell aufgelöst („Ich bin heute einfach ein wenig müde“), während andere tief verwurzelt und fast unerschütterlich scheinen (wie politische oder religiöse Überzeugungen). Je stärker wir uns jedoch mit etwas identifizieren, desto mehr verschwindet unser Handlungsspielraum.

Warum Identifikation uns einschränkt: Stell dir vor, jemand kritisiert dich hart. Wenn du stark mit deiner Persönlichkeit identifiziert bist, reagierst du wahrscheinlich impulsiv – sei es mit Wut oder indem du dich gekränkt zurückziehst. Doch was, wenn du diese Reaktion aus einer beobachtenden Distanz wahrnehmen könntest? Diese bewusste Wahrnehmung schafft Raum für eine freie, bewusste Reaktion statt impulsiven Handelns.

Die Magie der Achtsamkeit: Achtsamkeit hilft uns, Situationen aus einer wohlwollenden und unparteiischen Beobachterperspektive wahrzunehmen. Anstatt sofort in unsere gewohnten Reaktionsmuster zu fallen, erkennen wir, was tatsächlich in uns und um uns herum passiert. So können wir frei entscheiden, wie wir mit Impulsen und Stimmungen umgehen.

Achtsamkeitsübungen für den Alltag:

  1. Gedanken-Scanner: Setze dich für 5 Minuten in Stille hin und notiere jeden Gedanken, der aufkommt. Es geht nicht darum, Gedanken zu kontrollieren, sondern sie einfach zu beobachten. Welche Themen wiederholen sich? Was lenkt dich ab?

  2. Gefühls-Check-in: Stelle dir mehrmals täglich den Timer und halte für einen kurzen Moment inne. Welche Gefühle sind gerade präsent? Wo spürst du sie im Körper? Nimm sie bewusst wahr, ohne sie zu bewerten.

  3. Morgenritual: Wenn du morgens aufwachst und dich mies fühlst, schließe für eine Minute die Augen und atme tief ein. Erkenne die miese Stimmung an, ohne dich damit zu identifizieren. Frage dich: „Was kann ich mir heute Gutes tun?“

  4. Meditative Beobachtung: Stelle dir vor, du beobachtest deinen Tag wie einen Film. Sei der Regisseur, der alle Szenen neugierig und ohne Urteil betrachtet. Welche Handlungsalternativen zeigen sich?

Durch diese Übungen gewinnst du die Fähigkeit, dich bewusst von deinen Identifikationen zu lösen. So wird aus einem automatischen Reaktionsmuster ein freier Handlungsspielraum. Du wirst weniger von äußeren Umständen bestimmt und lernst, dich selbst besser zu steuern. Erkenne, dass du die Freiheit hast, dich nicht mit allem zu identifizieren, was in dir und um dich herum geschieht.