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Entstehung verdrängter Gefühle
Als Kinder und Jugendliche sind wir in einer herausfordernden Phase unseres Lebens. Wir entdecken das Leben, viele neue Situationen – manche höchst spannend und erfüllend, andere schwierig und vielleicht verletzend. Gleichzeitig haben wir noch nicht die innere Kapazität, schwierige Gefühle selbst zu verarbeiten. Wir benötigen dafür die Hilfe von Menschen, denen wir vertrauen, die uns Sicherheit geben und sind dadurch stark von diesen abhängig.
In dieser Phase des Lebens kann es immer wieder passieren, dass wir schwierige Erfahrungen machen, die nicht von anderen Menschen mit aufgefangen werden können. Vielleicht ist dies eine Trennung der Eltern, der Verlust eines wichtigen Menschen, Mobbingerfahrungen oder Momente, in denen wir starke Scham erlebt haben. Bestimmte Situationen können für uns im Kindesalter existenziell bedrohlich wirken, z.B. wenn wichtige Bedürfnisse nach Nähe / Sicherheit / Autonomie nicht optimal erfüllt wurden, wenn wir aus einer Gruppe ausgeschlossen werden oder aus unterschiedlichen Gründen die lebensnotwendige Basis von Mama und Papa gefährdet ist. Vielleicht sind es auch bestimmte Eigenschaften an uns, die im Außen sanktioniert werden und – um der lebensnotwendigen Bindung willen – von uns unterdrückt werden müssen. Wenn die entstandenen Gefühle zu schwierig für uns alleine sind und keine Unterstützung im Außen verfügbar ist, oder wenn die Strafe auf bestimmte Eigenschaften von uns groß ist, müssen wir diese tief in uns verdrängen und dafür sorgen, dass sie nicht wieder in unser Bewusstsein kommen.
Unterdrückung der Gefühle
Die Unterdrückten Gefühle und Eigenschaften sind nicht weg. Vielmehr bringen wir ein erhebliches Maß an Energie auf, um unsere Aufmerksamkeit von ihnen weg zu lenken. Die Qualität von damals – das vielleicht existenziell bedrohliche – bleibt mit den Gefühlen und Eigenschaften gekoppelt. So tun wir alles dafür, diese nicht mehr spüren zu müssen. In gewisser Weise bleibt unser Umgang mit den Gefühlen aus den jungen Jahren erhalten, auch wenn wir uns mittlerweile zu eigenständigen erwachsenen Menschen entwickelt haben.
Verdrängte Gefühle als Persönlichkeitsanteile
Die Verbannten
Die in uns verdrängten Gefühle und Eigenschaften führen eine Art Eigenleben und sind letztendlich Persönlichkeitsanteile aus dieser Zeit, die verbannt wurden.
Ihr innigster Wunsch ist es, mit ihrem Schmerz liebevoll gehalten zu werden. Genau das eben, was damals gefehlt hat. Aus dieser Not heraus drängen diese Anteile ständig in unser Bewusstsein und versuchen, sich gehör zu verschaffen. Wir hingegen bekommen große Angst vor ihnen und sperren sie immer und immer wieder weg. Die Not wird immer wieder aktualisiert und verstärkt.
Die Beschützer
Unsere Psyche ist ein extrem gewiefter und leistungsfähiger Mechanismus. So bauen wir nach und nach andere Persönlichkeitsanteile auf, die uns vor den verbannten Anteilen beschützen. Diese können verschiedene Züge annehmen. Wir können z.B. kühl und gefühllos werden um nichts spüren zu müssen. Vielleicht entwickeln wir die Eigenschaft, alles ins lächerliche zu ziehen und nie ernst zu sein, um uns und der Welt den Anschein zu vermitteln, dass alles nicht so schlimm ist. Vielleicht werden wir übertrieben theatralisch, um uns und andere von schwierigen Aspekten abzulenken. Wir können auch depressiv werden, um einfach nicht mehr spüren zu müssen. Oder wir werden impulsiv um alle noch so kleinen Erinnerungen an die schmerzhaften Seiten sofort aggressiv abzuwehren. Auch eine Möglichkeit, mit den schwierigen Seiten umzugehen ist, immer wieder etwas neben der Kappe sein, um in innerer Diffusion nichts spüren zu müssen.
Auswirkungen
Der Aufwand der Beschützer-Anteile, welcher notwendig ist um die ins Bewusstsein drängenden Verbannten Anteile im Unbewussten zu halten verlangt uns einiges an Energie ab. Es kann sein, dass wir uns dadurch nicht wirklich “hier” fühlen, dass wir das Leben wie hinter einem Vorhang erleben, dass unser Denken eingeschränkt ist und wir keine weiten und optimistischen Zukunftsaussichten haben, dass uns alles dumpf und sinnlos erscheint oder wir uns abgeschnitten vom Leben fühlen. Es ist möglich, dass die unterdrückten Anteile subtil spürbar sind mit ständiger, diffuser Traurigkeit, mit Angst oder auch Gereiztheit.
Umgang mit den Anteilen
In der Theorie…
In der Theorie ist es ganz einfach, unsere verbannten Anteile wieder zu befreien:
Wir müssen in unserer stabilen erwachsenen Haltung bleiben, in der uns bewusst ist, dass Gefühle nicht existenziell bedrohlich sind. Gleichzeitig müssen wir die schwierigen Erfahrungen zulassen, spüren und liebevoll halten und akzeptieren, wie gute Eltern ihre Kinder halten und trösten.
In der Umsetzung ist es jedoch meist anspruchsvoller.
Anteile werden im Unbewussten versteckt
Da wir uns jahrelang angewöhnt haben, diese verletzten Teile in uns nicht wahrnehmen zu müssen, kann es äußerst schwierig sein, überhaupt zu begreifen, auf was denn zu schauen ist, bzw. was überhaupt der Anteil ist.
Hinzu kommt, dass unsere Beschützeranteile meist hervorragende Arbeit leisten und alles dafür geben, dass die Verbannten in ihren inneren Verliesen bleiben. Dies kann z.B. so aussehen, dass wir beim Entschluss, jetzt endlich mal hinzuschauen, sehr müde werden. Oder wir sind plötzlich total verwirrt und können uns nicht mehr konzentrieren. Vielleicht haben wir auch auf einmal starken Hunger, müssen unbedingt etwas Essen, oder eine Zigarette rauchen, dies und das machen…
in den Anteil rutschen und stabilen Erwachsenen verlieren
Es kann auch passieren, dass es uns gelingt, in intensiven Kontakt mit einem verletzlichen Anteil zu kommen und dies dann so schmerzhaft wird, dass wir es nicht aushalten und Angst bekommen, dass dieser Zustand für immer so anhalten wird. In diesem Fall haben wir unsere stabile Erwaschenenposition verloren und sind in die Identifikation mit dem Anteil gerutscht. Wir erleben dann die Emotionen so wie damals, sind überwältigt und existenziell bedroht.
Dies wäre dann eher eine Retraumatisierung, statt einer heilsamen Erfahrung.
Möglichkeiten
Wie schwierig es ist, unsere Verbannten Anteile wieder zu integrieren hängt natürlich davon ab, wie intensiv die frühere Erfahrung für uns war.
Es hängt jedoch auch davon ab, wie gut es uns grundsätzlich gelingt, schwierige Gefühl auszuhalten und in unserem stabilen Erwachsenen Anteil zu bleiben.
Meditation
Eine wunderbare Form, dies kontinuierlich zu Üben ist Meditation.
In der klassischen Sitzmeditation haben wir jederzeit wenn wir wollen die Möglichkeit, unsere Aufmerksamkeit in einer einladenden, wohlwollenden Haltung nach innen zu richten. Wir sind dann konfrontiert mit allem, was sich in uns zeigen möchte. Dies können ganz leichte Dinge sein, wie ein Jucken auf der Nase, jedoch auch schwere Emotionen, welche vielleicht gerade aktiv sind. Die Konzentration auf den Atem hilft uns, immer im Hier und Jetzt – im stabilen Erwachsenen Anteil verankert zu sein und alles, was in uns gesehen werden möchte zu spüren und wahrzunehmen, liebevoll anzunehmen bis es genügend gesehen und gehalten wurde, um sich entspannen zu können.
Therapie
Bei manchen Verbannten ist es nicht möglich, diese alleine zu integrieren. Vielleicht weil sie von zu gewieften Beschützern verborgen werden oder weil sie zu intensiv sind, um alleine die stabile Erwachsenen – Position aufrecht erhalten zu können.
In diesem Fall ist es hilfreich und vielleicht notwendig, einen damit erfahrenen Therapeuten zur Hilfe zu holen. Der Therapeut kann dabei helfen, die Beschützer näher kennen zu lernen – deren Ängste und Sorgen – damit diese sich entspannen können. Er hilft, die Erwachsenen – Position aufrecht zu erhalten bzw. übernimmt diese für bestimmte Momente im Prozess. Er erhält die Klarheit im teils schwer zu durchschauenden Prozess zwischen verschiedenen Gefühlen. Und er sorgt dafür, dass die Verbannten nicht wieder zurückgewiesen werden, sondern endlich aus ihrer Einsamkeit in tröstende und sichere Arme gelangen dürfen.