
Wenn Stille zu laut wird – Über die Funktion des Funktionsmodus
Oft spüre ich in mir eine tiefe Sehnsucht nach Ruhe, innerer Verbundenheit und Klarheit. Doch immer wieder finde ich mich in Lebensphasen, in denen ich voll im Funktionsmodus bin: Der Fokus richtet sich nach außen, ich jongliere zahlreiche Projekte gleichzeitig und finde kaum Zeit, still zu sitzen. Was passiert da eigentlich, dass ruhig werden so schwierig ist?
„Die Fähigkeit, stillzusitzen und nichts zu tun, ist eine der am wenigsten geübten und zugleich kraftvollsten Fertigkeiten in unserer rastlosen Welt.“
– Jon Kabat-Zinn Tweet
Heute Morgen wollte ich mich bewusst zwanzig Minuten lang mir selbst zuwenden. Einfach sitzen, meditieren, lauschen. Doch schon beim Hinsetzen bemerkte ich eine deutliche innere Anspannung und Unruhe. Sofort begann mein Verstand, hektisch von einer Aufgabe zur nächsten zu springen: zwei große Projekte stehen an, Beziehungen wollen gepflegt und zahlreiche Alltagsaufgaben bewältigt werden.
Ich merkte, wie mein Körper in einer permanenten Grundspannung steckte. An stilles Lauschen – vielleicht den Vögeln draußen vor dem Fenster – war kaum zu denken. Mehrfach öffnete ich unbewusst die Augen, bereit loszustarten, bis ich mich erinnerte, dass ich doch genau das Gegenteil tun wollte: bei mir bleiben, mich mir selbst zuwenden. Es fühlte sich beinahe anstrengend an, mich immer wieder zurückzuholen.
In einem ruhigeren Moment bemerkte ich plötzlich eine subtile Spannung, ein Flirren im Bereich meines Solarplexus. Intuitiv legte ich beide Hände auf diese Stelle und spürte nach. Etwas Interessantes geschah: Unter der Spannung verbarg sich Traurigkeit, ganz fein und subtil. Als ich sie bewusst wahrnahm und genauer hineinspüren wollte, wurde es in mir ruhiger und irgendwie wohliger. Mir wurde klar, dass das hektische, gedankliche Getriebensein wie eine Flucht vor dieser Traurigkeit war.
Gerne hätte ich mehr über diese Traurigkeit erfahren, doch sie blieb nur kurz spürbar und löste sich sanft in der aufkommenden inneren Ruhe auf. Zurück blieb das Bewusstsein, dass mein Funktionsmodus nicht nur dazu dient, Aufgaben zu erledigen, sondern manchmal auch ein Versuch ist, schwierigen Empfindungen zu entkommen.
„Geschäftigkeit ist oft nichts anderes als eine Form von Faulheit – faule Geschäftigkeit. Sie erlaubt es uns, unsere Aufmerksamkeit von den eigentlichen Themen abzulenken.“
– Timothy Ferriss Tweet
In therapeutischer Hinsicht ist das spannend. Denn genau hier liegt für mich eine wesentliche Erkenntnis verborgen: Sowohl die innere Stille als auch das äußere Erleben haben ihre Berechtigung und Funktion. Doch wenn ich die Stille kaum mehr aushalte, zeigt mir das, dass ich gerade einer inneren Empfindung ausweiche – möglicherweise einer Traurigkeit oder auch einer Leere, die ich nicht fühlen will oder kann.
Diese Erkenntnis verbindet sich gut mit dem Konzept des „Default Mode Network“ aus der Neurowissenschaft. Dieses Netzwerk im Gehirn wird besonders aktiv, wenn wir scheinbar nichts tun – wenn wir uns selbst begegnen, innere Zustände wahrnehmen und zulassen. Gerade deshalb fällt es uns so schwer, nichts zu tun. Der Funktionsmodus oder das Getriebensein schützen uns davor, schwierigen inneren Empfindungen direkt zu begegnen.
Mir selbst diese Dynamik bewusst zu machen, ist nicht immer angenehm. Aber es hilft mir, mitfühlender mit mir umzugehen. Denn die Phasen der Unruhe oder des Getriebenseins sind nicht Ausdruck von Schwäche oder Versagen, sondern Ausdruck meines momentanen Umgangs mit inneren Herausforderungen.
Mit dieser Erkenntnis fällt es mir viel leichter, den wichtigen Schritt in die Selbstzuwendung zu gehen.
Wenn ich in Momenten des Still werdens unter Anspannung komme, oder mein Geist dann extrem aufdreht, wird die Frage interessant: „Was bin ich aktuell nicht bereit zu fühlen?“
Diese Frage hilft, nach innen zu lauschen. Weg vom Gedankenkarusell, hin zu den inneren Bereichen, die wahrgenommen und gespürt werden wollen. Meist braucht es gar nicht viel – kein Eintauchen in schwierige Gefühle, sondern nur Kontaktaufnahme.
Hier beginnt wirkliche Zufriedenheit.