10. Blogbeitrag Selbstzuwendung

Echte Nähe: Wie Selbstkontakt deine Beziehungen verändert

Die unsichtbare Mauer

Warum wir uns in Beziehungen manchmal einsam fühlen, obwohl wir uns Nähe wünschen

Kennst du das auch? Dieser tiefe Wunsch nach Verbundenheit, nach einem Moment der Geborgenheit in den Armen eines geliebten Menschen. 

Du sehnst dich danach, gesehen und gehalten zu werden. 

Und dann ist der Moment da: Dein Partner nimmt dich in den Arm, deine beste Freundin sitzt dir gegenüber, dein Kind kuschelt sich an dich – doch anstelle des erhofften warmen Gefühls der Nähe macht sich eine subtile Anspannung breit. Eine feine, unsichtbare Mauer. 

Äußerlich bist du nicht mehr allein, aber innerlich fühlt es sich trotzdem so an. Du bist da, aber irgendwie auch nicht wirklich.

Dieses irritierende Gefühl ist weiter verbreitet, als du denkst. Es ist das leise Echo einer inneren Trennung, das uns selbst in den intimsten Momenten einholen kann. Doch woher kommt diese Distanz, wenn wir uns doch nichts sehnlicher wünschen als Nähe?

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„Du kannst nicht wirklich mit einem anderen Menschen in Beziehung treten, solange du nicht gelernt hast, mit dir selbst in Beziehung zu sein.“

Wenn der Selbstkontakt fehlt: Das innere Orchester spielt ohne Dirigent

Wenn wir solche Momente ehrlich reflektieren, stellen wir oft fest: Der Wunsch nach Nähe war nur die Oberfläche. Darunter spielt ein ganzes Orchester an inneren Zuständen, von denen wir oft gar nichts mitbekommen.

Vielleicht ist da ein

leistungsorientierter Anteil in dir, der gedanklich noch die To-do-Liste des Arbeitstages durchgeht. 

Ein besorgter Anteil, der sich fragt, ob du alles richtig machst und den Erwartungen des anderen gerecht wirst. 

Oder ein erschöpfter Anteil, der nach einem langen Tag einfach nur Ruhe braucht und von der Erwartung von Nähe überfordert ist. Diese inneren Stimmen und Gefühle sind alle da, doch wir haben gelernt, sie zu überhören.

Stattdessen richten wir unsere gesamte Aufmerksamkeit wie einen Scheinwerfer auf unser Gegenüber. Wir scannen seine Stimmung, versuchen, seine Bedürfnisse zu erspüren und passen uns an, um die Harmonie nicht zu gefährden. 

Wir wollen die perfekte Partnerin, der verständnisvolle Freund sein. In diesem Bemühen, im Außen alles „richtig“ zu machen, verlassen wir jedoch unseren eigenen inneren Raum. Wir lassen unsere inneren Anteile allein – und genau das erzeugt dieses Gefühl der Abgekapseltheit und Einsamkeit. 

Es ist ein Paradox: In dem Versuch, jemandem besonders nah zu sein, entfernen wir uns von uns selbst.

„Wahre Intimität ist die Bereitschaft, alle Teile von dir in der Gegenwart eines anderen halten zu lassen – und alle Teile des anderen in deiner Gegenwart zu halten.“

Der Beginn von intensiver Nähe: Dich selbst mit ins Boot holen

Wir glauben oft, echte Verbundenheit entstünde, indem wir uns voll und ganz auf einen anderen Menschen einlassen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Wahre, nährende Verbundenheit entsteht nicht, indem wir uns selbst aufgeben, sondern indem wir uns mit allem, was gerade in uns ist, mitnehmen.

Stell dir vor, du triffst einen Freund nicht als leere Hülle, die sich anpasst, sondern als ganzer Mensch. Du bringst deine Freude mit, aber auch deine Müdigkeit. Deine Sicherheit, aber auch deine Unsicherheit. Wenn du in Kontakt mit dir selbst bist, kannst du spüren, welche Art von Nähe sich gerade stimmig anfühlt. Vielleicht ist es keine körperliche Umarmung, sondern ein offenes Gespräch. Vielleicht ist es geteiltes Schweigen. Vielleicht brauchst du erst fünf Minuten für dich, um durchzuatmen, bevor du dich wirklich öffnen kannst.

Wenn die Anteile in dir, die sich nach Ruhe, Anerkennung oder einfach nur einer Pause sehnen, zuerst von dir selbst wahrgenommen werden, können sie sich beruhigen. Sie müssen nicht mehr im Hintergrund um Aufmerksamkeit kämpfen. Erst dann entsteht ein authentischer Kontakt, der nicht auf Anpassung oder Vermeidung basiert. Und dieser Kontakt hat eine völlig andere Qualität: 

Er ist ehrlich, lebendig und tief. Manchmal entsteht so eine viel intensivere Nähe, ganz ohne körperliche Berührung.

„Die Liebe zu anderen und die Liebe zu uns selbst sind keine Alternativen. Im Gegenteil, eine Haltung der Liebe zu sich selbst wird bei all jenen gefunden, die fähig sind, andere zu lieben.“

Eine kleine Übung für mehr Selbstkontakt im Alltag

Das klingt vielleicht nach einer großen Aufgabe, doch die Veränderung beginnt in den kleinsten Momenten. Probiere beim nächsten Kontakt mit einem lieben Menschen diese kleine Übung, inspiriert von achtsamem Selbstmitgefühl:

Der Moment des Ankommens: Ein kurzer Check-in mit dir selbst

  1. Halte inne: Bevor du in die Begegnung gehst oder währenddessen einen Moment innehältst – sei es vor der Haustür, bevor du aus dem Auto steigst oder wenn dein Gegenüber den Raum betritt – nimm einen bewussten Atemzug. Nur diesen einen.

  2. Spüre nach innen: Richte deine Aufmerksamkeit sanft nach innen und stelle dir die Frage: „Wie geht es mir gerade wirklich?“ Nimm einfach nur wahr, ohne zu bewerten. Ist da Anspannung in den Schultern? Ein flaues Gefühl im Magen? Freude? Erschöpfung? Alle Antworten sind willkommen.

  3. Schenke dir einen Funken Mitgefühl: Was auch immer du vorfindest, begegne ihm mit einem Hauch von Freundlichkeit. Ein inneres Nicken. Ein leises „Okay, da ist also gerade Erschöpfung. Das ist in Ordnung.“ Dieser kleine Moment der Selbstzuwendung ist wie ein Anker.

Schon diese winzige Unterbrechung schafft einen Raum zwischen Reiz und Reaktion. Sie holt dich aus dem Autopiloten der Anpassung zurück zu dir selbst und ermöglicht es dir, bewusster und authentischer in den Kontakt zu treten.

„Verletzlichkeit ist nicht Gewinnen oder Verlieren; es ist der Mut, sich zu zeigen und gesehen zu werden, wenn wir den Ausgang nicht kontrollieren können.“

Das größte Geschenk für deine Beziehungen bist du selbst

Die Suche nach Nähe im Außen, ohne bei sich selbst zu sein, ist wie der Versuch, auf wackeligem Boden ein stabiles Haus zu bauen. Wir verstricken uns in alte Muster aus Anpassung, Abwehr oder Überforderung und wundern uns, warum sich die Verbindung nicht so tief anfühlt, wie wir es uns erhoffen.

Echte Nähe zu anderen ist kein Zustand, den wir durch Anstrengung im Außen herstellen, sondern eine natürliche Folge von liebevollem Kontakt mit uns selbst.

Wenn wir uns selbst mitbringen – mit unserer ganzen inneren Vielfalt –, entsteht eine neue Qualität von Beziehung. Eine, die nicht auf Perfektion, sondern auf Ehrlichkeit beruht. Eine, die lebendig ist, weil sie Raum für alle Gefühle lässt. Eine, die wirklich verbunden ist, weil sie auf dem soliden Fundament des Selbstkontakts ruht. Dein Mut, bei dir zu sein, ist das größte und schönste Geschenk, das du dir und den Menschen, die du liebst, machen kannst.

Wer schreibt hier?

Ich bin Oliver, Gestalttherapeut mit Herz für Tiefe, Psychotherapie und Verbundenheit. In diesem Blog teile ich Impulse für Menschen, die sich selbst wieder näher kommen wollen.

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